Muttersprache und Diskriminierung

by | 29. März 2023 | Fanbeiträge

Eigentlich hätte ich genug anderes zu tun, aber dieses Thema brennt mir auf den Nägeln. Als Künstler sollte ich mich in erster Linie mit meiner Kunst beschäftigen. In jungen Jahren war dies ein schwieriges Unterfangen, allein schon wegen der Notwendigkeit, ein Einkommen zu sichern. Das hat sich auch am Beginn einer neuen Karriere nicht geändert. Heute kommt jedoch die obligatorische Eigenwerbung als zeitraubende Aufgabe hinzu.

Die früher noch ansprechbaren Redakteure und Kuratoren verschanzen sich zunehmend hinter den Erfolgszahlen, die man auch als Newcomer schon vorweisen sollte. Ich kann mich erinnern, dass man auf eine Eingabe bei Presse, Radioredaktion oder Plattenfirma zumindest eine Antwort bekam – und es kostete nichts! Zugegeben, gerade im Musikgeschäft ist die Zahl der „Antragsteller“ durch die Möglichkeiten der digitalen Musikproduktion explodiert. Dies hat sich zu einem florierenden Marktplatz für Eigenwerbungsplattformen (auch im Buchmarkt) entwickelt.

Nun, es ist, wie es ist! Allerdings ist zu beobachten, dass sich die Schwelle zur Gewinnschwelle dadurch immer weiter nach hinten verschiebt. Und dann gibt es noch einen weiteren Effekt, der für viele unbemerkt bleibt und zum Knackpunkt wird – die kulturelle Herkunft und Muttersprache des Künstlers. Das ist wahrlich nicht ganz neu, und ältere Musiker werden sich an den Widerstand gegen den damals sogenannten „angloamerikanischen Kulturimperialismus“ erinnern. In Frankreich und Kanada wurden verbindliche Radioquoten für einheimische Musiker eingeführt. Auch in anderen Ländern wuchs der Widerstand gegen die Dominanz englischsprachiger Popmusik.

An dieser Front ist es erschreckend ruhig geworden. Und das, obwohl die Dominanz eher gewachsen als geschrumpft ist. Heute werden die amerikanischen Formate der Oscars oder der Grammys sofort live im Fernsehen übertragen. All dies ist für nicht englischsprachige Künstler alarmierend genug, aber es gibt eine andere Entwicklung, die im Schatten der Aufmerksamkeit stattfindet und noch schwerwiegendere Auswirkungen auf die Selbstdarstellung hat.

Offensichtlich verschlafen deutsche, französische und andere Kulturen die Evolution der Eigenwerbung. Es gibt erschreckend wenige Marketingangebote mit Fokus auf Europa (natürlich ist das der Fokus meiner Beobachtung als Deutscher). Natürlich sind die internationalen Formate (Submithub, Spotify etc.) weltweit offen, aber die generelle Ausrichtung ist unterschwellig klar auf die englische Sprache fokussiert. Ich gebe ein Beispiel.

Als ich 2019 meine zweite Künstlerkarriere im Musikbusiness startete, habe ich mich ziemlich unbewusst und beiläufig für Englisch als Kommunikationssprache und (wenn vorhanden) Songtexte entschieden. Das hatte viel mit meiner früheren internationalen Arbeit als Jazztrompeterin zu tun. Englisch ist seit geraumer Zeit die weltweite „lingua franca“. Und auch mein Marketing erreichte ohne Probleme den internationalen Markt. Schon mit den ersten Songs konnte ich Streamingzahlen um die 100,000 erreichen – als Neuling nach über 20 Jahren Pause als Künstler!

2022 habe ich einige Bücher auf Deutsch veröffentlicht und festgestellt, dass ich mich in meiner Muttersprache viel ausführlicher ausdrücken kann – kein Wunder. Also habe ich fortan auch deutsche Liedtexte geschrieben. Schon zu Beginn meiner späten Karriere bin ich über hunderte für mich völlig unbekannte Genres der Popmusik gestolpert. Nach 3 Jahren hatte ich mich endlich eingelebt, was für das stark von Algorithmen abhängige Marketing wichtig war. Ich stellte nun fest, dass die richtigen Playlists mein internationales Publikum immer besser erreichten.

Mir war klar, dass sich dieses Publikum mit deutschsprachigen Songtexten enorm reduzieren würde, aber mehr als 100 Millionen potenzielle Zuhörer reichen auch, wenn man die sicherlich höhere künstlerische Qualität der Texte in meiner Muttersprache berücksichtigt. Nun suchte ich nach den passenden Genres und war sprachlos. Die Vermarktungsplattformen geben die Genres als Dropdown-Menü vor – natürlich auf Englisch. Außer „Deutschpop“ war dort nicht viel zu finden und die dazugehörigen Playlists waren eher auf deutschen Schlager ausgerichtet. Für anspruchsvollere deutsche Texte gab es auch eine Box mit Hip-Hop und den Randgenres. So etwas wie „Alternative“ war offensichtlich nicht für deutschsprachige Künstler gedacht.

Als ich dann nach geeigneten Promotion-Anbietern für ein deutschsprachiges Publikum gesucht habe, war ich fassungslos. Bei Tausenden und Abertausenden von Promotionagenturen hat sich fast keine auf ein deutschsprachiges Publikum spezialisiert. Die Regel lautete: „Jeder versteht Englisch und hier soll das Geld auf ganzer Linie verdient werden.“ Überraschenderweise stimmten selbst die deutschen Kuratoren diesem Urteil kommentarlos zu. Ich denke, Kollegen in anderen europäischen Ländern werden das genauso sehen. Die anglo-amerikanische Geschmacksmaschine scheint den gesamten digitalen Markt zu dominieren, und selbst die europäischen Unternehmen (Spotify ist schwedisch, Deezer ist französisch usw.) haben nicht die Kraft (oder den Willen?), dem entgegenzuwirken.

Natürlich hat Deutschland auch Stars hervorgebracht, aber ich spreche nicht von den Helden, die ihre Karrieren über Clubs und Konzerte aufgebaut haben. Der digitale Markt ist ein eigener Markt und der einzige, der Umsätze generiert, die nicht auf reiner Knochenarbeit beruhen. Auch mit meinen deutschen Titeln erreiche ich in den USA mehr Fans als in Deutschland. Was läuft falsch? Sind wir wirklich nur Vasallen der USA, wie die Nachkriegsgeneration immer befürchtet hat? Freundschaft ist gut, aber demütige Abhängigkeit ist einfach scheiße. Wenn wir Europäer ein paar Krümel vom amerikanischen Musikmarkt abbekommen, ist das kein Ausgleich dafür, dass der heimische Musikmarkt den großen Deals verschlossen bleibt. Hier kann man niemandem etwas vorwerfen, und der Fleiß der Amerikaner auf den Märkten ist beeindruckend, schmeckt aber bitter auf der Zunge der Europäer. Ich will gar nicht wissen, wie es auf afrikanischen oder anderen Zungen schmeckt.

Haftungsausschluss: Ich bin kein Nationalist und habe kein Problem mit anderen Kulturen und ich spreche gerne Englisch in der internationalen Kommunikation, aber ich werde sauer, wenn ich in Bezug auf meine Herkunft ignorant diskriminiert werde und welche Sprache ich spreche – auch wenn es nur fahrlässig ist. Es haut mich wirklich um, wenn selbst in meinem eigenen Land die Radiosender deutsche Lieder fast komplett ignorieren. Es ist höchste Zeit, dass die Debatte wieder aufgenommen wird.

Zitat:
Kein deutschsprachiger Titel in den Top 100 der Offiziellen Deutschen Airplay Charts 2022.

BVMI-Vorsitzender Dr. Florian Drücke kritisiert, dass kein einziger deutschsprachiger Titel in den Top 100 der Offiziellen Deutschen Airplay Charts 2022 zu finden ist und stellt damit einen neuen Negativrekord für einen Trend auf, auf den die Branche seit Jahren hinweist . Gleichzeitig zeigt die Studie, dass die Vielfalt der gehörten Genres, auch der deutschsprachigen Musik, weiterhin groß ist. Im Musikangebot der Radiosender spiegelt sich dies jedoch nicht wider.

„Kein deutschsprachiger Song ist unter den 100 meistgespielten Titeln im deutschen Radio, wie die Offiziellen Deutschen Airplay Charts 2022 zeigen, ermittelt von MusicTrace im Auftrag des BVMI. Das ist ein neuer Tiefststand nach fünf im Jahr 2021 und sechs im Jahr 2020. Dass Songs auf Deutsch im Radio keine besonders große Rolle spielen, ist kein neues Phänomen und wurde von der Branche im Laufe der Jahre mehrfach thematisiert und kritisiert. Sender mit lokalem Repertoire könnten sich unserer Meinung nach identifizieren und auch bei den Hörern punkten“, wird Drücke in einer Pressemitteilung des Verbandes zitiert. „Andererseits muss auch klar sein, dass wir hier in der aktuellen Debatte um die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sehr genau hinsehen und den Kulturauftrag einfordern, der durch die starke Rotation des internationalen Repertoires nicht erfüllt wird. Ein Blick in die offiziellen deutschen Album- und Singlecharts genügt, um zu zeigen, dass deutschsprachige Künstler hierzulande sehr geschätzt und gefragt sind und entsprechend im Radio reflektiert werden sollten“, so Drücke weiter, der Politiker davor warnt, hinzuschauen weg von diesem Thema entweder. > Quelle: https://www.radionews.de/bvmi-kritisiert-geringen-anteil-deutschsprachiger-titel-im-radio/

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