Wahl zwischen was?

by | 8. März 2022 | Fanbeiträge

Ja, der Krieg in der Ukraine ist schrecklich. Genauso schrecklich wie der Krieg in Jugoslawien, der Krieg in Syrien und Hunderte von Kriegen zuvor. Nach dem Horror kommt die Analyse, und hier wird es kompliziert. Natürlich kann man sagen, dass Putin verrückt geworden ist und fast die ganze Welt den Angriff verurteilt – siehe UN-Resolutionen. Aber das ist nur die halbe Wahrheit.

Wenn wir das Problem analytisch angehen, werden wir die Ursache für Putins wahnsinnige Entscheidungen im Zusammenbruch der Sowjetunion finden. Das brach wegen eklatanter Wirtschaftsschwäche zusammen. Den meisten Menschen ging es sehr schlecht und sie erhofften sich von einer Hinwendung zu Demokratie und Kapitalismus als Alternative zum gescheiterten Kommunismus eine Verbesserung der Unabhängigkeit ihrer Völker. Jetzt warten sie auf die Besserung. Wie lange werden wir sie warten lassen? Sie warten seit 30 Jahren. Noch 20 oder 100 Jahre – für immer?

Demokratie lebt von der Möglichkeit jedes Einzelnen, sein Leben in Würde und jenseits von Armut zu leben. Das gilt nicht nur für die ehemaligen Sowjetrepubliken in Zentralasien, sondern auch für Afrika und viele andere Regionen. Wenn die sogenannte freie Welt das nicht schafft, wird es weitere Kriege geben – bis zum nuklearen Showdown. Wir müssen diese Zusammenhänge verstehen.

Russland in der Person Putins will zurück zur Weltmacht werden. Warum greift er jetzt nicht Zentralasien an (was er zum Beispiel schon im Kaukasuskrieg versucht hat), sondern die Ukraine? Denn Zentralasien kann warten. Den Menschen dort geht es immer noch schlecht und Russland hat gute Aussichten, dass die Republiken wieder freiwillig in Russlands Arme fallen! Die meisten Menschen in der Ukraine haben sich jedoch völlig freiwillig für Demokratie und Kapitalismus entschieden – und ihre Lebensbedingungen haben sich durch die Nähe zu Europa sogar verbessert. Die Gefahr besteht also darin, dass Demokratie und Kapitalismus ein besseres Leben garantieren. Putin kann das natürlich nicht so stehen lassen – und China auch nicht.

China hat einen Weg gewählt, der zwei Welten vermischt hat. Auf der einen Seite der kommunistische Machtapparat, auf der anderen die wirtschaftlichen Freiheiten. Bisher erweist sich dieser Weg als äußerst erfolgreich – auf Kosten der persönlichen Freiheit der Menschen.

Leider zeigt der Kapitalismus in seiner hässlichsten Form auch die Spaltung der Bevölkerung in sehr reiche und sehr arme Menschen. Dies ist sogar in den scheinbar gefestigten kapitalistischen Demokratien zu beobachten. Trump hat den darin enthaltenen Sprengstoff eindeutig demonstriert. Die Demokratie wird also niemals den endgültigen Sieg erringen, und wir müssten weiter auf den nuklearen Showdown warten.

Ich sitze gerade hier in meinem Mini-Studio und kämpfe verzweifelt um mein persönliches wirtschaftliches Überleben als Musikproduzent. Ein Paradebeispiel für viele Menschen in kapitalistischen Demokratien. Ja, ich war fleißig! Einer umfangreichen akademischen Musikausbildung folgten viele zermürbende Jahre auf den Bühnen dieser Welt – bis zum Burnout. Danach ging der Kampf ums Leben weiter. Neuer Beruf – neues Glück – bis zum nächsten Burnout. Jetzt versuche ich meine Rente mit Musikproduktion aufzubessern.

Ja, ich kann meine Meinung frei äußern. Mir fallen keine Bomben auf den Kopf und ich habe genug zu essen. Geht es mir also gut? Nein, denn als erfahrener Künstler im Musikbusiness erlebe ich erneut, wie wirtschaftliche Macht meine persönliche Entwicklung drastisch einschränkt. Sogenannte Gatekeeper wollen mir das letzte Hemd vom Leib reißen, bevor meine Produktionen überhaupt das Ohr eines Zuhörers erreichen können. So sieht Wettbewerb im Kapitalismus aus.

Die fortschreitende Privatisierung (Kapitalisierung) der Kulturlandschaft führt dazu, dass für Künstlerinnen und Künstler heute mehr denn je gilt: „Ohne Geldanlage keine Marktchancen“. Es mag für viele nach Jammern auf hohem Niveau klingen, aber wie Ovid schon sagte: „Widerstehe den Anfängen“. Diese Art von Freiheit wird niemals die Herzen der Menschen erreichen. Wenn die Mehrheit der Bevölkerung aufgrund fehlender Finanzkraft vom persönlichen und wirtschaftlichen Wachstum ausgeschlossen ist, wird es schnell düster. Dann haben wir nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera.

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